Pressestimmen

Botschaft aus leidgeprüften Ländern

Die Folklore-Tanzgruppe unter der Leitung von Aykut und Yesim Dalgic bereicherte den Benefizabend wie auch zahlreiche andere Gruppen. GB-Foto: Vecsey

Der 6. Februar 2023 – das Datum wird mehrfach genannt am Montagabend in der Stadthalle Herrenbergs. Acht Monate sind seither vergangen, neue, erschreckende Nachrichten aus anderen Ländern eingetroffen. Die Opfer jener Erdbeben, die am 6. Februar Syrien und die Türkei heimsuchten, sind von diesem Schicksalsschlag jedoch nach wie vor getroffen. Sie stehen vor zerstörten Häusern und Existenzen, beklagen ihre Toten und setzen ihr Leben fort – unter schweren Bedingungen. Viele Bürger Herrenbergs haben Hilfe geleistet in Form von Spenden – ein Benefizabend belohnt diesen Einsatz nun musikalisch und kulturell, bringt Informationen zur Lage in den Ländern, ist Danksagung und eine erneute Bitte um Unterstützung, die nicht ungehört bleibt.

Es ist ein ungewöhnliches Ereignis, dieses Benefizkonzert zugunsten der Erdbebenopfer: Ein Konzert mit unterschiedlichen Beiträgen von außergewöhnlicher Qualität, in denen die Wertschätzung der geleisteten Hilfe sich auf schöne Weise abbildet. Meliha Geiger als Integrationsbeauftragte der Stadt Herrenberg hat diesen Abend angeregt und Michael Kraus, stellvertretender Leiter der Herrenberger Musikschule, organisiert.

Das Konzert beginnt mit Liedern, volkstümlich, unmittelbar anrührend, gesungen von Berkay Bilgic, der vor drei Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam. Er begleitet sich auf der Gitarre und der Baglama, einer Langhalslaute. „Was soll ich dir sagen, meine Liebe? Unsere Ordnung hält nicht mehr, unsere Fäden sind zerrissen“ – Sabine Bethge, als Moderatorin des Abends, zitiert auf Deutsch diese Zeilen des türkischen Volksliedes „Nesini Söyleyim“ und erläutert auch das zweite Lied, das Berkay Bilgic vorträgt, „Utanmazsan Unutmam“: „Es handelt von der Verantwortung des eigenen Handelns“, sagt sie. „An den Tag von heute wird man sich noch morgen erinnern“ – so lautet eine Zeile.

Sabine Bethge zitiert auch Oscar Wilde, der sagte: „Es ist keine ideale Zeit, in der ich lebe, aber es ist meine Zeit.“ Dann tritt Thomas Sprißler als Oberbürgermeister Herrenbergs ans Mikrofon. Bilder aus den Katastrophengebieten standen am Anfang des Abends. „Was soll ich euch, was soll ich Ihnen heute Abend sagen?“, so beginnt Sprißler nun, dankbar dafür, dass es in Herrenberg Menschen gibt, „die nicht nur reden, sondern auch machen“. Für viele andere Menschen, daran erinnert Sprißler, war der 6. Februar 2023 nicht der Beginn einer Woche, sondern das Ende ihres Lebens. Und viele müssen weiterleben mit den Folgen der Ereignisse: „Fast neun Millionen Menschen sind in irgendeiner Form betroffen.“

Zu den zahlreichen Unterstützern des Benefizabends gehört neben Musikschule und Herrenberger Bühne auch der Rotary Club. Bernhard Kugler, Präsident des Clubs für Nagold-Herrenberg, wird später zu Spenden aufrufen. Zuvor schon berichtet Prof. Dr. Tamam Bakchoul, der am Klinikum Tübingen als Ärztlicher Direktor des Instituts für klinische und experimentelle Transfusionsmedizin arbeitet und aus Syrien stammt, über die aktuelle Situation in den Krisengebieten.

Er erzählt von einem Leben, das weitergehen kann, dem aber jegliche Infrastruktur fehlt: „Trinkwasser kommt eine halbe Stunde am Tag, Strom kommt manchmal. Man kann sich auf nichts verlassen. Wir wollen das Land wieder aufbauen – die medizinische Versorgung ist mittlerweile gesichert und für viele Betroffenen zugänglich.“ Ohne Spenden, dies betont Tamam Bakchoul, wäre all dies nicht möglich gewesen.

Die Jugendkantorei Herrenbergs singt gemeinsam mit dem Jugendchor des Schickhardt-Gymnasiums das „Kyrie eleison“ aus der Messe brève von Léo Delibes, das Stück „Feel the Rhythm“ von Cy Coleman. Oleksi Basturin, der vor zwei Jahren mit seinen Eltern aus der Ukraine nach Deutschland kam und seit drei Jahren Online-Unterricht am Akkordeon erhält, erstaunt auch hier mit seiner Fingerfertigkeit und großen Musikalität. Die Folklore-Tanzgruppe des Türkischen Arbeitnehmervereins zeigt in bunten, traditionellen Kostümen Tänze aus der ägäischen Region. Die Pop-Band der Herrenberger Musikschule unter Leitung von Jan Kappes spielt Hits von ELO, Nena und Leonard Cohen.

Der zweite Teil des Abends wird sehr schön eröffnet durch einen gemeinsamen Auftritt des Trompetenensembles der Musikschule und der Trompeten der Herrenberger Stadtkapelle. Sie spielen eine Fanfare von Eric Ewazen und einen Marsch von William Byrd. Der Chor International unter der Leitung von Christa Feige tritt auf mit einem Medley, das mit der Europahymne und einem Friedenswunsch endet. Harald Streicher schließlich begleitet Cordelia Hanus am Klavier – die Sopranistin und Stimmbildnerin an der Herrenberger Musikschule singt auf zutiefst ergreifende Weise Antonin Dvoráks „Lied an den Mond“ und die Arie „O mio babbino caro“ aus Giacomo Puccinis Oper „Gianni Schicci“.

Der Abend endet mit einem türkischen Volkslied, gespielt von der Projektband der Musikschule und Berkay Bilgic – vorerst, denn Zugaben werden mit Nachdruck eingefordert und die vorzüglichen Speisen der türkischen Küche, zubereitet von der Catering-AG der Albert-Schweitzer-Schule, sind nebst Getränken und Gesprächsbedarf sehr geeignet, diesen Abend zu verlängern.

Gäubote, 26.10.2023
Thomas Morawitzky

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