Pressestimmen

Das Leben und nichts anderes

Mit dem Folkorchester der Herrenberger Musikschule zieht es einen in sonnige Gefilde.

Folk’n Friends mit Thomas Rose (rechts) sorgen für unbeschwerten Musikgenuss in der Kelter in Kayh

Doch erst einmal entführt einen das vor 14 Jahren ins Leben gerufene und von Thomas Rose geleitete, freudig und passioniert aufspielende Ensemble in die untergegangene Welt der osteuropäischen Schtetl und ihrer Klezmorim. Freud und Leid liegen im Klezmer nah beieinander. Mit einem überschwänglichen „Masel tov“ entfachen die Musiker mehr als ein Stück Glückseligkeit an. Der pulsierende, funkensprühende Rhythmus gipfelt in regelrechte Freudenseufzer. Die Tochter ist unter die Haube gebracht worden, der Vater und Hochzeitsgesellschaft sind im siebten Himmel. Klezmer und Jazz liegen gar nicht so weit auseinander, also warum nicht ein jiddisches Swingstück folgen lassen.

Folk’n Friends beweisen, dass der fingerschnipsende, verschmitzte und kesse Charme von „Bay mir bistu sheyn“ ungebrochen ist. Einfach wunderbar. Mit dem auf- und abwogenden, glühenden Rhythmus eines hebräischen Nigun findet man sich unter dem Himmel über der Wüste wieder. Eine orientalisch angehauchte, hypnotische Melodie versetzt den Zuhörer in einen tranceartigen Zustand.

Sodann werden markantere, synkopiertere Rhythmen angeschlagen. Das in der Tradition des Son Cubano stehende, durch den Buena Vista Social Club weltberühmt gewordene Lied „Chan Chan“ schlägt neben den süßen auch die bitteren Seiten so eines Lebens auf. Die Freuden der Liebe, das harte Los des Arbeitens geben sich die Klinke an die Hand. Dagegen feiert ein vor unbekümmerter Lebensfreude nur so sprudelnder Bossa nova die Leichtigkeit des Seins. Eine von der peitschenden Urgewalt eines Perkussion-Rhythmus angetriebene, fiebrige Samba folgt auf den Fuß. Man pfeift auf das ewige Müssen und Sollen, gibt sich ganz dem genussvollen Augenblick hin.

Sodann gleitet man mit dem Folkorchester auf den mächtigen Schwingen eines Kondors erhaben und sanft durch die Lüfte. „El Condor Pasa“ erzählt von der Flügel verleihenden Kraft einer großen Sehnsucht, die einen hinwegträgt, über das Heimweh hinwegtröstet.

Derweil macht ein spanisch-lateinamerikanischer Flamenco deutlich, dass zwischen den Stühlen zu sitzen eine recht rastlose und atemlose Angelegenheit sein kann. An eine heiter und unbeschwert tänzelnde Sevillana schließt sich nahtlos der hoffnungslos romantische Evergreen „Besame Mucho“ an. Derweil flanieren Folk’n Friends mit kecken und spritzigen französischen Chanson über das weite Feld der Liebe. Dem Liebeskummer wird da schon einmal gezeigt, was eine Harke ist.

Mit George Brassens kleiner bänkelsängerischer, kämpferischer Hymne „Chanson pour l’auvergnat“ zieht dann auch die Liebe zum Menschen an sich in die Kelter ein. Während sich die Musiker mit dem Renaissance-Trinklied „Tourdion“ einem mittelalterlich anmutenden, sinnenfreudigen und ekstatischen Rhythmusrausch hingeben, beten sie mit von der apulischen Tarantella inspirierten Weisen die Schönheit eines Mädchens an und verfallen dem flutenden Rauschen des Meeres, dem „Meeresweh“ und der „Meereslust“.

Mit dem Klassiker „Bella Ciao“ gibt sich das vielseitig aufgestellte Orchester in der Kayher Kelter dann wieder mehr kämpferischer, widerständiger und aufbegehrender.

Gäubote, 20.01.2020                                Rüdiger Schwarz

 

 

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