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Das Zuhören wie das Schauen ist eine Lust

Herrenberg: Salagon Quartett macht die Streichmusik zu einem Erlebnis - als Ursprung, Vollendung und Wandel

Das Zuhören wie das Schauen ist eine Lust

Das Salagon Quartett in der Alten Turnhalle GB-Foto: Schmidt

Drei große Werke der Streichmusik, das erlesene Ambiente der Alten Turnhalle, ein wunderbares Spiel vier hervorragender Solisten: Der Konzertabend mit dem Salagon Quartett in Herrenberg geriet rundum genuss- und auch recht lehrreich.

Solisten im Quartett? Das empfindet man schon beim ersten Programmpunkt so: Die beliebte "Kunst der Fuge" von Johann Sebastian Bach, Contrapunctus I-IV, wurde eigentlich für Tasteninstrumente komponiert und kann auch allein oder auf anderen Instrumenten gespielt werden. Das Salagon Quartett reizt die vielfältigen und dynamischen Ausdrucksmöglichkeiten lebhaft aus, die vier Stimmen vereinen sich zu einem freundlich geführten Gespräch. Jedes Streichinstrument gestaltet Anmerkungen und Erwägungen auf eigene Weise, alles fügt sich in ein ruhiges Gesamtbild.

"Wir lieben Bach"

Es geht sehr demokratisch zu: jeder darf einmal anfangen. Christine Busch, die zuvor einführende Worte spricht, ist Professorin an der Stuttgarter Musikhochschule und spielt mit der Violine die erste Stimme. "Wir lieben Bach" bekennt sie zu Anfang und das geschieht dann wohl auch mit so manchen Zuhörern. Die zweite Stimme, ebenfalls Violine, spielt Lisa Immer, sie ist Mitglied namhafter Ensembles und des Kammerorchesters Basel. Dem gehört auch Sebastian Wohlfarth, Viola, an, ihm ist der Kontakt nach Herrenberg zu verdanken. Gesine Queyras, Violoncello, ist mitverantwortlich für die künstlerische Leitung des Kammermusikfestivals in der Haute Provence, das dortige Kloster Salagon gab dem Quartett seinen Namen.

In den vier Bach-Stücken klingen Wandlungen des Ursprungswerks an, elegant oder melancholisch verlängerte Noten, keck gestaltete Abschweifungen, statt Gleichförmigkeit wohltuend lebendige Unebenheit. Eine Lust ist das Zuhören wie das Schauen: Tonfolgen und Klangwellen setzen sich im körperlichen Einsatz der Musiker fort, vor allem die Violinen wogen und tauchen hinein in den Klangfluss und gestalten die Fugen als engagiertes musikalisches Gespräch. Dann ein großer Schritt zu Joseph Haydn: Das Kaiserquartett opus 76 Nr. 3 ist wohl das bekannteste seiner 68 Streichquartette. Es beginnt mit einem frühlingshaften Allegro, in dem man die Kuckucksterz in Varianten erlauschen kann, auch ein Dudelsack tritt auf. Der als temperamentvolles Fest gestaltete, melodiöse Satz enthält manchen musikalischen Übermut. "Gott erhalte Franz den Kaiser" - begann einst das Gedicht zur Huldigung des österreichischen Herrschers, in Töne umgesetzt hat Haydn sie im zweiten Satz, welcher bis heute der deutschen Nationalhymne ihren ergreifenden Klang verleiht. Fantasievoll und zart wird das Thema umspielt, so variationsreich wie Deutschland nun einmal ist. Und dann ist unerwartet Pause: "Wir spielen auf Darmsaiten", verkündet Sebastian Wohlfarth - "und die können schon mal reißen!" Das geschah ihm und so entfernt er sich zur Reparatur, während man darüber sinniert, auf welchem Darm da wohl gespielt wird. Man erfährt, dass das Ensemble dies aus historischen Gründen tut: auch zu Brahms Zeiten wurden die Saiten noch aus Rinder- oder Schafsdarm - nicht Katzendarm! - gefertigt. Ein kleines Malheur, das wunderbar passend ein Empfinden für damalige Aufführungsatmosphäre vermittelt.

Nach der Pause darf man sich einem wirklich eindrucksvollen Werk hingeben: dem Streichquartett a-Moll opus 51 Nr. 2 von Johannes Brahms. Dieser, so erzählt Sebastian Wohlfarth, war traditionell eingestellt und empfand die großen Vorbilder eher als Hypothek, sein großes Quartett erschien ihm klein und unvollkommen. Nun lauscht man den komplexen Klanggebilden, Erinnerungen tauchen auf, man meint Zitate zu erkennen, wird von immer neuen musikalischen Wendungen überrascht, man staunt über die wunderbare Verflechtung von Motiven und Stimmen und wie sie sich ergänzen. Dieses Quartett ist ganz anders, alles klingt neu und einmalig, man folgt Bildern und Fantasien, empfindet es zugleich auch als ein fantasievolles, mal übermütiges, mal nachdenkliches Spiel.

So erlebt man mit diesen drei Werken einen runden Genuss, vom Salagon Quartett wie eine Geschichte der Musik vor den Zuhörern entfaltet: Bachs Musik lässt sich wandeln und bearbeiten, sie ist Ursprung und auch Aufgabe für die Nachkommenden. Haydns Werk ist auf seine Art Vollendung, es ist rund und geschlossen. Brahms aber schuf ein unvollkommenes Werk im positiven Sinne: Es nimmt Traditionen auf und weist in die Zukunft. Die Musik kommt nie zum endgültigen Schluss, es ist, als wäre auch dieses immerhin halbstündige Quartett nur eine Station auf dem unendlichen Boden wunderbarer Musik, auf dem man gern verweilt.

Hilfreich waren da die einführenden Worte, so nahm man die Feinheiten intensiver auf. Für Musikschulleiterin Ulrike Goldau war ihr erster Konzertabend in der Alten Turnhalle, außerhalb des Studios der Musikschule, ein Wagnis. Der Vorverkauf war schleppend verlaufen, doch am Abend kamen sie, die erhofften Besucher und bestätigten: Ein solch hochkarätiges Konzert findet auch in Herrenberg seine Liebhaber.

 

Von Gabriele Pfaus-Schiller, Gäubote 18. April 2016

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