Pressestimmen

Gottes Allmacht erklingt im vollen Bass

In der Stiftskirche Herrenberg musiziert ein Ensemble aus Flöten, Streichern, Orgel, Cembalo und Sängern. Die Instrumentalisten bilden einen Halbkreis um die vier Sänger und das Cembalo.
Ein abwechslungsreiches und intim wirkendes Konzert war in der Stiftskirche zu hören. GB-Foto: Schmidt

Kirchenkaffee, das klingt verlockend – und wirklich duftet es nach Kaffee und Plätzchen am Sonntagabend im Vorraum der Stiftskirche. Diese Stunde der Kirchenmusik ist Johann Sebastian Bach gewidmet – und natürlich darf dann auch die lustige „Kaffeekantate“ nicht fehlen. Doch zunächst wird man mit der Messe in A-Dur BWV 234 auf ein abwechslungsreiches und in der großen Stiftskirche intim wirkendes Konzert eingestimmt. Im Vergleich zu Bachs h-Moll-Messe ist diese eher klein und unbekannt, doch gerade in sie muss der Komponist viel Herz und Gefühl hineingewirkt haben. Das Kyrie eleison erklingt leicht, selbstbewusst, im Gloria wird das innige Bitten um die Gnade Gottes mit hellem Sopran (Johanna Pommranz) und Altus (Thomas Nauwartat-Schultze) vorgebracht, erhält durch Tenor (Marcus Elsässer) und Bass (Nikolaus Fluck) beschwingten Nachdruck. Das Domine Deus ist der Versuch, Gottes Allmacht in beherztem, vollem Bass zu fassen, Qui Tollis Peccata Mundi ist, darauf hat Bezirkskantor Johannes Fiedler, Organisator und Leiter des Konzerts, zuvor extra hingewiesen, aus der Sicht des mit pochendem Herzen um Vergebung bittenden Sünders komponiert. Und wirklich, in den Bratschen vermeint man es zu hören, das Herz, während im Sopran schüchterne Reue anklingt und sich das Gespräch mit einem gnädigen Gott im Wechselgesang entwickelt. Quoniam Tu Solus Sanctus – du allein bist der Herr – wird mit machtvollem Altus vorgetragen, die Messe endet mit Cum Sancto Spirito als Lobgesang, in dem alle vier Solostimmen aufs Angenehmste harmonieren und zum „Chor“ verschmelzen.

Drei Teile hat das Kaffeekonzert, im zweiten nun darf mehr der barocke, höfische Bach zum Vorschein kommen. Die Suite h-Moll BWV 1067 ist eine Folge von sechs Tänzen unterschiedlicher Natur, mit einleitender Ouvertüre. Das wechselt ganz überraschend in Temperament und Tempo, mal wird gemächlich ausgeschritten, mal sich flott gedreht, werden zierliche Posen in Klänge geformt, entladen sich ausgelassene, marschähnliche Tanzrhythmen. Ein lebendiges Panorama entfaltet sich, man meint die Lust am Spiel in Haltung und Mienen der Musizierenden zu erkennen, lässt sich von Rondeau, Sarabande, Bourrée und Polonaise, Menuett und Badinerie umgarnen – das gefällt, wie der nun schon viel lebhaftere Applaus bezeugt.

Dritter Teil, „Kaffeekantate“, aktuelles Thema: unmäßiger Kaffeegenuss und ein Familienstreit! Personen: spätpubertierende Tochter im (zu Bachs Zeiten) heiratsfähigen Alter, genervter Vater. Hier schlüpfen Johanna Pommranz und Nikolaus Fluck lebhaft und gekonnt in ihre Rollen als aufmüpfiges Lieschen und grollender, um seine Autorität bangender Vater Schlendrian. Ein genialer Musikstreich entfaltet sich, mitreißend vorgetragen und von Rezitator Marcus Elsässer geführt. Es geht letztlich um die Frage: Laster oder Pflicht, Kaffee oder Bräutigam? Den nämlich will Papa Schlendrian ihr verwehren, wenn Fräulein Tochter nicht die Hand von der Kaffeetasse lässt. Wer siegt? Natürlich die gewitzte Tochter, die im köstlich tönenden Stimmgefecht ihren Bräutigam mitsamt uneingeschränkter Kaffeegenussgarantie erkämpft. Bach muss beim Komponieren in bester Laune gewesen sein, und so verlässt nun auch das Publikum angeregter denn je die Sitzreihen, Johannes Fiedler, der am Cembalo das Ganze mitgestaltet und geleitet hat, strahlt übers ganze Gesicht – selten so viel Spaß gehabt beim Musizieren! Ihm muss man unbedingt ein sehr geschicktes Händchen bei der Zusammenstellung des kleinen Ensembles bescheinigen. Nicht nur sind die Solosänger von erlesener Güte, auch die Instrumentalisten ragen jeweils betörend und ausdrucksvoll aus dem Orchesterklang hervor. Einige Barockmusiker gehören dem Collegium musicum an, Lehrerinnen der Musikschule sind dabei, drei Musiker aus Basel und Berlin angereist, jeder überzeugt durch brillantes und präzises, gefühlvolles und zartes Spiel. So ist in den Sitzreihen weiter hinten schwer zu unterscheiden, dass eine der beiden Traversflöten in der Hand eines Professors an den Hochschulen Bremen und Berlin ruht: Georges Barthel hat bereits am Vormittag in der Musikschule eine MasterClass in Querflöte durchgeführt. Es muss traumhaft gut gewesen sein, denn die Augen von Musikschulleiterin Ulrike Goldau glänzen noch am Abend, als sie davon erzählt.

Gäubote, 01.10.2025
Gabriele Pfaus-Schiller

 

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