Pressestimmen

Ton und Rhythmus für Unsagbares

Auf der Bühne der Alten Turnhalle musiziert das Ensemble JONTEF. Vier Männer mit Violine, Gesang, Akkordeon und Kontrabass.
Das während der Pandemie ausgefallene Konzert wurde nun nachgeholt. GB-Foto: Schmidt

Der Rebbe tanzt – dann beginnt Michael Chaim Langer zu erzählen: „Damals in Jiddischland …“. Von einer Zeit, in der die traditionelle jiddische Volksmusik Klezmer zu Hochzeiten und anderen Festen erklang, handeln seine Anekdoten und Lieder. Die 1988 in Tübingen von ihm gegründete, aus vier Musikern bestehende Gruppe Jontef hatte am Samstagabend ihren großen Auftritt in der Alten Turnhalle. Klarinette, Gitarre, Violine, Kontrabass und Akkordeon sind die Begleiter, die immer wieder auch zu Solisten werden, Langer selbst unterstreicht seine Geschichten mit dem Tamburin. Es wird viel gesungen, erzählt und philosophiert an diesem Abend, nur getanzt wird nicht – auch wenn man manches Mal den Impuls verspürt, aufzuspringen und sich von den ursprünglich hierfür vorgesehenen Melodien und Rhythmen mitnehmen zu lassen.

Nach dem Tanzlied, untermalt mit im Klezmer typischen Silben wie „Ja da dai dai“, angeheizt und in Schwingungen versetzt von den Rhythmen der Instrumente, jäh unterbrochen von Pausen, in denen viel Gefühl und Nachdenken liegt, wird erzählt: von Liebes- und Gelddingen, vom Leben im Schtetl und dem Verlust des vertrauten Heims, von der Geschichte des Volkes, von Freund- und Feindschaft. Ursprünglich eine Musik für Hochzeiten und andere Feste – „Jontef“ ist das jiddische Wort für Festtag –, wird sie hier um manch kuriose Details der Brautwerbung angereichert. Herrlich die Geschichte vom zwergwüchsigen Hoffotografen aus München – „dieser Mikrokosmos!“, ätzt der Erzähler –, der um das schönste aller Mädchen wirbt. Es flüchtet auf einen Baum, weint Tautropfen, die vom Himmel fallen, und bevor der Vater den Baum fällt, lockt der Brautwerber die Angebetete mit einer kostbaren Perlenkette in den Ehestand. „Unter a klejn Bejmele“ sitzen zwei Burschen und denken an nichts anderes als Mädchen. „Warum weinst du, Scheindele?“, erzählt vom Töchterchen, in dessen Herzen ein Feuer brennt – wer kennt sowas nicht? Man erfährt also allerlei über Alltagsdinge, erlebt eine etwas andere Art zu trauern, anzuklagen, nachzudenken. Denn auch das vermitteln diese Gedichte und Geschichten: eine Lebensphilosophie, die in ihrer liebenswerten und verschmitzten Art immer etwas Befreiendes oder Erlösendes hat. Es klingen aber auch die schicksalhaften Dinge an, etwa das Leben in Ruinen in „Gehabt hab ich ein Heim“.

Das ist die eine Seite dieses anregenden Abends, ohne die andere nicht denkbar: eine Musik, die bei Jontef eine erstaunliche, über die traditionellen Weisen weit hinausreichende Ausdrucksform erfährt. „Zu zweien“ spielen Peter Falk (Kontrabass) und Wolfram Ströle (Violinist und Komponist) dieses wie etlicher anderer Stücke – ein Erlebnis! Faszinierend die Wechsel von wirbelnden, schmelzenden, schrillen, dann wieder provokant langsamen Phasen, mit denen Stimmungen erzeugt – und mit abrupten Pausen verworfen werden. Da klingen klassische und Elemente des Jazz und Blues an, minimalistische Elemente der neuen Musik, es ist wie ein Ritt durch Zeiten und Stile. „Frunse verde“ klingt bitter, wehmütig, langsame Phasen wechseln mit solchen, in denen die Instrumente den Sänger zu jagen scheinen.

„Was Nejes“ wie auch „Karousel“ sind Kompositionen von Hans Joachim Günther, Klarinette und Gitarre. Das ist ansprechend, recht flott, die der Klarinette eigenen Möglichkeiten werden ausgereizt: mal rasend, schrill, schnörkelig, mal eindringlich, lauter und leiser werdend. Es ist eine Folge spannender Momente, angenehm empfindet stets man den Wechsel zu Michael Chaim Langer Langers jiddischen Geschichten. Der Schauspieler und Sänger ist in Israel geboren, und natürlich trägt er all seine Texte auf Jiddisch vor. Man versteht nicht alles, aber das macht nichts: Man sieht und hört die Geschichten, Langer wehklagt, schimpft, frohlockt oder lacht, seine Hände, seine ganze Person machen Witz und Tragik des jüdischen Lebens und Denkens erlebbar. Diese Geschichten sprechen mit ihrer Lebensweisheit Herz und Verstand an. Auf ihre eigene Weise geht die instrumentale Musik tief unter die Haut, gibt Unsagbarem Ton und Rhythmus.

Musikschulleiterin Ulrike Goldau hatte Jontef schon in der Corona-Zeit gebucht, der Auftritt musste ausfallen. Hier darf der kulturelle Höhepunkt, die Gruppe ist deutschlandweit erfolgreich unterwegs, nachgeholt und genossen werden. Der Applaus, irgendwie auch im Rhythmus der Musik, zeigt: Jontef ist gut angekommen, vielleicht auch wegen der geistreichen Mischung aus Musik und Philosophie des jiddischen Lebens.

Gäubote, 18.03.2025
Gabriele Pfaus-Schiller

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