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Übergänge auf eigene Art zelebriert

Gäubote, 02.05.2022

Übergänge auf eigene Art zelebriert

Pianist Joachim Rheinhuber gab in der Stadthalle sein Können bei einem Klavierabend zum Besten. GB-Foto: Holom

Pianist Joachim Reinhuber lädt bei Klavierabend in der Stadthalle ein zu einer Reise durch Jahrhunderte und menschliche Emotionen. Kontakt kam über Musikschulleiterin Ulrike Goldau zustande.

Der Frühling hält Einzug in der Stadthalle: Mit einem großartigen Klavierabend feiert die Musikschule eine Art Aufbruch in ein von Coronafesseln befreites Konzertleben. Und wer eignete sich dazu mehr als Wolfgang Amadeus Mozart? Zu ihm hin führt eine mit Abstechern und Überraschungen angereicherte musikalische Reise durch die Jahrhunderte im ersten Teil. Reiseleiter ist der Pianist Joachim Reinhuber, der damit einen besonders starken, emotional geladenen Eindruck seiner Vortragskunst liefert.

Doch zunächst hat er ein paar eher wenig bekannte Appetithappen anzubieten: „The Quadran Pavan“ von Dr. John Bull, dem ersten Musikprofessor an der Oxford University Anfang des 17. Jahrhunderts, eine Pavane also, ein höfischer Schreittanz dieser Zeit. Sie wirkt feierlich, ungeziert, schon klingt darin das innere Motto des Abends an: Musik, im Programm bis auf eine Ausnahme tonalen Gesetzen gehorchend, überwindet Grenzen, atmet Freiheit, indem sie aufs Schönste menschliche Emotionen auszudrücken vermag. Nach einer Pavane aus derselben Epoche von John Dowland und William Byrd folgt ein Abstecher in die Moderne, mit James Wilding, in Ohio lebender Komponist aus Südafrika, der sich mit „White Owl and Blue River“ in die Natur hineindenkt und -fühlt.

Bilder entstehen beim Lauschen, ein Sonnenuntergang vielleicht, Wälder, Flüsse, man ist so entrückt, dass man den Übergang verpasst: Reinhubers Spiel wird wilder, kontrastreicher, er ist bei der Fantasie fis-Moll von Carl Philipp Emanuel Bach, dem berühmtesten der Bach-Söhne, angekommen. Ein mitreißendes Stück, mit oft zerrissenen, sprunghaften Melodien und Harmonien, mit einer Empfindsamkeit, die über die Barocktradition hinausweist.

Und dann Mozart! Sofort spürt man das Temperament des Komponisten, vom Pianisten mit leichter Hand zum Ausdruck gebracht, zunächst mit der zart und gefühlvoll gespielten Fantasie KV 397, ein vertrautes, anmutiges Stück. Den nahtlosen Übergang zu den Deutschen Tänzen hat man fast wieder verpasst: Sie werden so flott und begeisternd vorgetragen, dass man den Eindruck hat, das rockt so richtig, nach der Fantasie d-Moll eine überaus bewegte Pointe.

Zugleich staunt man über den Pianisten: Er strahlt eine Ruhe aus, wirkt unerschütterlich vor dem mächtigen Instrument, das Notenumblättern wird zur kaum merklichen Wischbewegung auf dem Tablet. Seine Bewegungen sind sparsam, nur die Hände sind Energiezentrum und produzieren eine überwältigende Ausdruckskraft der Töne.

Eine Vorliebe des Pianisten schätzt man, auch wenn sie zuweilen ratlos macht: Er zelebriert Übergänge auf eigene Art, ohne Pause lässt er die Musik über die Zuhörer hinweggleiten, plätschern und brausen, so wird alles zu einem Ganzen, zu einer Reise mit Anfang und Ende, Reise und Wiederkehr. Mit Erzählungen würzt Reinhuber seine Darbietung, plaudert über Kompositionen und ihre Schöpfer, man fühlt sich unangestrengt und in humorvoller Weise mitgenommen.

Zurück ins 16. Jahrhundert nach der Pause, William Byrds „The Queens Alman“ klingt noch brav, so ganz anders dann die sechs kleinen Klavierstücke von Arnold Schönberg opus 19. Es ist ein freier, atonaler Exkurs, der doch ein inneres Gefüge aufweist. Es entfaltet sich eine Abfolge von zarten, bedächtigen, raschen und leichten Tonfolgen, wie Tropfen oder Gedankensplitter, selbst die Pausen haben einen Klang. Nach einer Pavane aus der Renaissance tritt der Meister der Romantik und der Gefühle auf: Frederik Chopins Nocturne c-Moll aus dem Opus 48 schmeichelt dem Gemüt, man lässt sich willig führen von sanften, berührenden Klängen. Die letzten Töne hallen noch lange nach, dann klingt auch die Nocturne Es-Dur aus dem opus 55, nun ein wenig verspielter aus.

Beim Schlussapplaus gibt der leider nicht voll besetzte Saal sein Bestes, Reinhuber entschwindet eilig, um genauso schnell wieder zum Piano zu eilen: Noch einmal wird man mit Emotionen verwöhnt bei einem Intermezzo von Johannes Brahms, dann endet mit zwei Stücken von Johann Sebastian Bach die Reise durch musikalische Gefühlswelten. So wird der Abend als besonderes Erlebnis in Erinnerung bleiben.

Manch einer im Publikum mag sich fragen: Wie gerät ein Pianist aus Texas, der für eine zweiwöchige Konzertreise nach Deutschland gekommen ist, nach Herrenberg? Des Rätsels Lösung: Musikschulleiterin Ulrike Goldau kennt ihn aus Studienzeiten in Freiburg, mit seinem Auftritt hat sie die Messlatte fürs hiesige Konzertleben ganz schön hoch gesetzt.

Gäubote 2. Mai 2022
Gabriele Pfaus-Schiller

 

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