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Vergessene Stücke werden zu einem hörbaren Glücksfall

Drei Werke deutsch-jüdischer Komponisten ermöglichen in der Musikschule ein Erlebnis auf höchstem Niveau

Vergessene Stücke werden zu einem hörbaren Glücksfall

Lucas Fels (Violoncello) und Axel Gremmelspacher (Klavier) erweckten Vergessenes zu neuem Leben GB-Foto: Holom

Tatsächlich war Gernsheim zu seiner Zeit ein sehr erfolgreicher Komponist, Dirigent und Pianist. 1839 in Worms geboren debütierte er bereits mit elf Jahren als Pianist, Geiger und Komponist. Seine Karriere umfasste unter anderem die Lehrtätigkeit am Konservatorium in Köln und später in Berlin. Zu seinen Schülern gehörte Engelbert Humperdinck, er war Mitglied der Akademie der Künste und eng mit Johannes Brahms befreundet. Anklänge von dessen Stil finden sich auch in Gernsheims Musik.

Die von Lucas Fels und Axel Gremmelspacher gespielte Sonate gehört zu seinen bekanntesten Werken. Sie verlangte den beiden Musikern, die im Verlauf der drei Sätze gewissermaßen alle Register zogen, einiges ab. In dem intensiven, gefühlvollen Werk wechseln rasante Läufe und leidenschaftliche Passagen mit leiseren, ruhigeren Momenten, wobei die Spannung stets aufrechterhalten bleibt. Die beiden Interpreten lieferten eine meisterhafte Darbietung, bei der die beiden Instrumente stets die richtige Balance zueinander fanden und sich auch in anspruchsvollen, teils sehr dichten Passagen nicht überdeckten. Virtuos, gefühlvoll und einfühlsam war das Klavierspiel, auch das Cello glänzte, obwohl das Werk nicht zum hauptsächlichen Repertoire des vor allem als Koryphäe für neue Musik bekannten Musikers Lucas Fels gehört.

Dem kam das nächste Musikstück schon deutlich näher. Das 1940 im französischen Exil komponierte Werk "Nenia Judaeis Qui Hac Aetate Perierunt" von Erich Itor Kahn ist der modernen Wiener Schule um Arnold Schönberg zuzuordnen und in Zwölftontechnik komponiert. Es konfrontierte die Zuhörer mit einer völlig anderen Stimmung und Tonsprache und forderte die Hörgewohnheiten entsprechend heraus. Fels kündigte das extrem expressive, im Nachhinein allen im Holocaust umgekommenen Juden gewidmete Werk als "eine Herausforderung - für alle Beteiligten!" an. Dunkel im Duktus, mit schwierigen Harmonien und einem bisweilen kaum aushaltbaren Gefühl von Getriebensein und Verzweiflung, spiegelt das in einem französischen Lager unter dem Eindruck der Gefahr und Ungewissheit entstandene Stück die Vertreibung, Verfolgung und Vernichtung der Juden im Dritten Reich wider. Kahn gelang die Flucht nach New York, wo er sich zwar als Pianist einen Namen machte, als Komponist indes nie wieder Fuß fassen konnte.

Nicht verloren und schon gar nicht vergessen gehört der dritte deutsch-jüdische Komponist des Abends stattdessen längst zum Kanon der klassischen Musik. "Wir wollten die ganze Bandbreite von Musik deutsch-jüdischer Komponisten in unterschiedlichen Entwicklungsphasen aufzeigen" erklärte Axel Gremmelspacher. So kam das Publikum in den Genuss der virtuos zu Gehör gebrachten Sonate Nr. 1 B-Dur Opus 45 von Felix Mendelssohn Bartholdy, die Robert Schumann einmal als "reinste, durch sich selbst gültigste Musik" bezeichnet hatte. Den lang anhaltenden Applaus belohnten die beiden Musiker mit dem ungewöhnlichen, modernen Stück "Eight Pieces" des jüdisch-amerikanischen Komponisten Morton Feldman. Einige wenige offene Töne, die dank langer Pausen für sich stehen und zum genauen Hinhören einladen, erinnern darin an John Cage, mit dem Feldman im Rahmen der "New York School of Music" zusammenarbeitete. Das Stück verlangt Zuhörern und Interpreten einiges ab, es lohnt sich aber durchaus, sich darauf einzulassen.

Gäubote 19.11.2018                              Jutta Krause

 

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